Eine deutsch-amerikanische Sommerschule
1 Die Ziele
Der Stummfilmklassiker Menschen am Sonntag (1930) ist einer der ersten Filme, der realistisch das Alltagsleben in einer modernen Großstadt schilderte. Gleichzeitig stellt er ein wichtiges Bindeglied zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Kino dar. Geschrieben und gedreht wurde er von fünf damals unbekannten jungen Männern, die nur drei Jahre später, nach der Machtübernahme der Nazis, aus Deutschland fliehen mussten und schließlich in Hollywood zu einflussreichen amerikanischen Filmemachern werden sollten: Robert und Curt Siodmak, Billy Wilder und Fred Zinnemann, Edgar Ulmer und Eugen Schüftan.
Aus diesen biographischen wie kulturgeschichtlichen Gründen gilt Menschen am Sonntag als ein Schlüsselwerk sowohl für die deutsche wie für die amerikanische Filmgeschichte. Der Film – das war die Grundidee, die am Anfang stand – sollte die ästhetische wie erzählerische Grundlage für unser deutsch-amerikanisches Kurzfilm-Projekt bilden. Von Menschen am Sonntag sollten sich die Teilnehmer zu kurzen dokumentarischen oder semi-dokumentarischen Porträts des Alltags in der Großstadt Köln inspirieren lassen. Ein wesentliches Ziel der gemeinsamen Sommerschule bestand darin, junge deutsche und amerikanische Filmemacher voneinander lernen zu lassen und über die sich dabei ergebenden künstlerischen und persönlichen Verbindungen auch zukünftigen Austausch zu fördern.
2 Das Projekt
Vorgeschichte zwischen Los Angeles und Köln
Das Projekt einer deutsch-amerikanischen Sommerschule “Menschen am Sonntag 2010 / People on Sunday 2010” stellte ich Prof. Barbara Boyle, der Leiterin der Filmabteilung der UCLA, während eines privaten Aufenthalts im August 2009 in Los Angeles vor. Barbara war von der Idee auf Anhieb begeistert.
Tatkräftige Unterstützung und auch finanzielle Förderung seitens der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei machten es dann möglich, bereits im Oktober desselben Jahres einen Kooperationsvertrag in Anwesenheit des damaligen Ministers für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien Andreas Krautscheid in Los Angeles zu unterzeichnen.
An beiden Filmschulen wurde das Projekt im Winter 2009 ausgeschrieben und die insgesamt zehn Teilnehmer – fünf junge deutsche und fünf junge amerikanische Filmemacher, Regisseure, DOPs und Produzenten – dann Anfang 2010 aufgrund ihrer Bewerbungen ausgewählt.
Summer School I: Die akademische Woche
Am 21. Juni 2010 begann die deutsch-amerikanische Summer School in Köln – mit einer akademischen Woche.
In fünf Tagen erhielten die Teilnehmer eine akademischer Einführung durch Professoren beider Filmschulen (Lehrende: Prof. Dr. Jan-Christopher Horak, UCLA; Prof. Dr. Lisa Gotto, ifs; sowie ich selbst). In Seminaren, Vorlesungen, Workshops, Diskussionen, Filmsichtungen- und Filmanalysen bekamen die 10 Teilnehmer einen film- und medienhistorischen Einblick in das Werk und die Biografien und Filmografien der Macher von Menschen am Sonntag sowie die deutsch-amerikanische Wirkungsgeschichte des Films. Lehr- und Lernziel war die unmittelbare Relevanz für die Themenfindung und eigene Filmproduktion im Rahmen der Summer School.
Darüber hinaus diente die akademische Woche dem gegenseitigen Kennenlernen der Teilnehmer und damit der Teamfindung. Bei ihr wurde darauf Wert gelegt, dass sich gemischte Teams bildeten, also jeweils die beiden deutschen Regisseure mit amerikanischen DOPs und die beiden amerikanischen Regisseure mit deutschen DOPs zusammenarbeiteten.
Summer School II: Drehbücher und Dreharbeiten
Die deutsch-amerikanischen Teams konzipierten und drehten dann in fünf Wochen vier thematisch verwobene (semi-) dokumentarische Kurzfilme über das Alltagsleben in Köln.
Die künstlerische Arbeit wurde wiederum von Professoren beider Filmschulen dramaturgisch angeleitet und produktionell betreut (Regisseurin Prof. Becky Smith, UCLA; Regisseur Prof. Hans-Erich Viet, ifs; Produzent Prof. Gerd Haag, ifs).
Ein wesentliches Leitmotiv, das alle Filme miteinander verbindet, entdeckten die Teilnehmer in der zeitgleich stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft bzw. den Public Viewings.
Gemeinsam haben die Kurzfilme auch, dass sie jeweils eine Station einer Liebesbeziehung erzählen: von der Trennung über sexuelle Anziehungskraft zu einer Beziehung am Scheidepunkt bis zu einem spontanen Verliebt-Sein am Ende des Films.
- Die Regisseurin Iliana Sosa (UCLA) und die Kamerafrau Nina Frey (FH Dortmund) schildern das Ende einer gleichgeschlechtlichen Liebe – in wenigen Worten und eindrucksvollen Bildern fangen sie einen melancholisch-schönen Sonntagmorgen im Umfeld des Domes ein.
- Die Regisseurin Nancy Mac Granaky-Quaye (ifs) filmte mit ihrem amerikanischen Kameramann Leigh Underwood während des Public Viewings zur Weltmeisterschaft und entfaltet vor dieser Kulisse eine anrührende Geschichte über den Beginn einer deutsch-amerikanischen Liebe.
- Der Regisseur Johannes F. Sievert (ifs) erzählt gemeinsam mit der Kamerafrau Jeanne Tyson (UCLA) die Geschichte eines Künstlers in der Lebens-, Liebes- und Schaffenskrise, gespielt von John Mobilio, einem in Deutschland lebenden amerikanischen Maler.
- Der Regisseur Lucas Mireles (UCLA) drehte zusammen mit Jens Nolte (FH Dortmund) eine humorvolle dreiteilige Geschichte über Flirten, Sex und wie sehr eine Bande von Kids das alles aus dem Konzept bringen kann.
Die Produzententätigkeit teilten sich für alle vier Projekte der deutsche Produzent Christopher Becker und sein amerikanischer Gegenpart Ryan Slattery.
Diese vier von Menschen am Sonntag inspirierten Shorts fügten sich überdies zu einem Kompilationsfilm von ca. 42 Minuten Dauer, geschnitten von Nicole Kortlüke.
Die Projektarbeit wurde von Paul Pieck (FH Dortmund) und Nicole Schmeier (ifs) für ein Making Of audiovisuell begleitet.
Öffentliche Veranstaltungen und Presseecho
Zwei öffentliche Veranstaltungen begleiteten unsere Summer School.
Am 22. Juni wurde die Originalversion des Stummfilmklassikers Menschen am Sonntag im Filmforum des Museum Ludwigs vorgeführt und dabei das Projekt “People on Sunday 2010” öffentlich vorgestellt.
Am 24. Juni hielt Prof. Dr. Jan Horak (UCLA) im Rahmen der Reihe Intermediale Lektionen einen öffentlichen Vortrag über den vor allem als Film-Titel-Designer berühmt gewordenen Saul Bass.
Zu dem Projekt und den Dreharbeiten gab es mehrere Presseberichte. Hervorzuheben sind die Artikel:
- „Deutsch-Amerikanische Freundschaft am Sonntag“. Deutsche und amerikanische Studenten drehen gemeinsam in Köln“ (Frank Olbert, Kölner Stadtanzeiger, 3.August 2010). Online findet der Artikel sich –> hier.
- „Immer am Sonntag. IFS-Studenten drehen mit Gästen aus Amerika“ (Rolf R. Hamacher, Kölnische Rundschau, 17. Juli 2010) Online findet der Artikel sich –> hier.
Summer School III: Postproduktion
Die Postproduktion fand dann weitgehend transkontinental statt: Die Filme wurden via Internet zeitgleich in den USA und Deutschland gestreamt, so dass sich die Professoren und die Teilnehmer über die weiteren Arbeitsschritte gemeinsam verständigen konnten.
3 Die Premieren
Die amerikanischen Premieren der vier Shorts in der Director’s-Cut-Version sowie der Kompilation People on Sunday 2010 fanden Anfang November 2011 in Los Angeles statt.
Goethe-Institut Los Angeles:
Menschen am Sonntag und People on Sunday 2010
Den Anfang machte die 42-minütige Kompilation, die als Gemeinschaftswerk dem großen historischen Vorbild am nächsten kommt. Ihre Premiere hatte sie im Rahmen einer Matinee-Veranstaltung am 6. November im Goethe-Institut von Los Angeles, dessen Leiterin Annette Rupp unser Projekt auch über die mit der Premiere verbundenen Sachleistungen hinaus finanziell unterstützte.
Bei der gut besuchten Veranstaltung – dem Thema entsprechend an einem Sonntagmorgen – wurde erst Menschen am Sonntag vorgeführt, dann People on Sunday 2010.
Die anschließende, gut halbstündige Diskussion zwischen den anwesenden Filmemachern und dem durchweg wohlwollenden, wenn nicht begeisterten Publikum kreiste einerseits um die aufschlussreichen Parallelen zwischen dem Klassiker und der modernen Fassung wie auch um deren eigenständige ästhetische Leistung. In der Summe zeigte sich – nicht nur am anhaltenden Beifall –, dass der deutsch-amerikanische Kompilationsfilm sich keineswegs vor seinem großen Vorbild verstecken muss.
University of California Los Angeles:
Die Director’s-Cut-Versionen
Dem Screening im James Bridges Theater der UCLA ging ein gemeinsamer Lunch im Faculty Club voraus, zu dem Prof. Barbara Boyle die deutschen und amerikanischen Teilnehmer der Summer School eingeladen hatte. Dabei wurde unter anderem die von amerikanischer Seite gewünschte Fortsetzung der Summer School besprochen sowie die Möglichkeiten, die Kompilation und die Einzelfilme bei Festivals einzureichen.
Das Screening selbst wurde von Prof. Becky Smith und mir anmoderiert. Sowohl die Dokumentation wie die vier Kurzfilme der deutsch-amerikanischen Teams fanden beim Publikum – Studierende wie auch einige Professoren der UCLA – großen Anklang.
Villa Aurora:
Die Tradition deutsch-amerikanischen Filmemachens
Den Abschluss fanden die Veranstaltungen in Los Angeles zur Summer School und der langen Tradition deutsch-amerikanischen Filmemachen an einer historischen Stätte des deutschen Anti-Nazi-Exils in Hollywood: in Lion und Martha Feuchtwangers Villa Aurora, heute eine von der Aurora Stiftung betriebene Künstlerresidenz, die der Förderung des deutsch-amerikanischen Kulturaustauschs dient.
Die Veranstaltung in der maximal 90 Plätze fassenden Bibliothek war bereits Tage im Voraus ausverkauft und zahlreiche Interessenten mussten abgewiesen werden. Das große Publikumsinteresse verdankte sich dabei wohl nicht zuletzt der – erstmaligen – Teilnahme des deutsch-amerikanischen Erfolgsregisseurs Wolfgang Petersen an einer Veranstaltung in der Villa Aurora.
Im ersten Teil des Abends las der deutsch-amerikanische Schauspieler Eric Braeden eine – von mir zusammengestellte – Collage aus Texten der „Menschen am Sonntag“-Macher und späteren Hollywood-Filmemacher Curt Siodmak, Billy Wilder und Fred Zinnemann.
Die autobiographischen Zeugnisse der Filmemigranten schilderten den Erfolg in Deutschland, die Vertreibung durch die Nazis, die Ankunft in Hollywood, die Erfahrung von Krieg und Holocaust und schließlich die biographische und ästhetische Summe des Lebens als deutsch-amerikanischer Filmemacher. Bei so manchen von Billy Wilders bissigen Kommentaren wurde laut gelacht, aber bei einigen von Curt Siodmaks und Fred Zinnemanns Schilderungen, die vom unfassbaren Leid der Vertreibung und des Holocaust handelten, mussten viele sich die Tränen wischen.
Im zweiten Teil des Abends wurde zunächst die kurze Dokumentation „Wolfgang Petersen – Mein Leben, mein Werk“ gezeigt (Deutschland 2011, Buch und Regie Gundolf S. Freyermuth). Daran schloss sich ein Gespräch zwischen Wolfgang Petersen und mir über die aktuellen Erfahrungen deutsch-amerikanischen Filmemachens sowie eine angeregte Diskussion mit dem Publikum an.
Festivalerfolge:
Lucas Mireles’ Playtime
Die in Los Angeles verabredeten Einreichungen der Summer-School-Filme bei nationalen und internationalen Festivals zeitigten bereits zwei große Erfolge: Lucas Mireles’ Kurzfilm Playtime wurde unter 7600 Einsendungen für den Wettbewerb des international bedeutenden, von Robert Redford begründeten Sundance Festivals in Park City, Utah, ausgewählt und lief dort Ende Januar 2012.
Von dort reiste der Film gleich weiter nach Austin, Texas, zum avantgardistischen South By Southwest Festival (SXSW), wo er Ende März laufen wird. Mehr findet sich dazu auf der Website des Films –> hier.
Die Deutsche Premiere …
… ist für das Frühjahr 2012 in Köln geplant.
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