Faction

Modul V
Fact – Fiction – Faction

Bei allen industriellen Verfahren der automatisierten Aufzeichnung von Bildern und Tönen – Fotografie, Schallplatte, Film, Radio, Tonband, Fernsehen – stellte sich von Anfang an auf Seiten der Produzenten wie der Rezipienten die Frage nach der Authentizität des (vermeintlich nur) Reproduzierten.

Gegenstand dieses Moduls sind die ästhetischen Verfahrensweisen der Kombination von Faktischem und Fiktionalem in der Herstellung narrativer audiovisueller Werke, das wechselseitige Verhältnis von Finden und Erfinden, Reproduktion und Produktion, abbildender Dokumentation und inszenierender Konstruktion.

Der Entstehung und Entwicklung audiovisueller Mischformen von Spiel- und Dokumentarfilm – so genannter faction – geht das Modul in drei historisch orientierten Teilen nach:

  • Faction im analogen Film
  • Faction im analogen Fernsehen
  • Faction im digitalen Transmedium

Vermittelt wird die historische Entwicklung von fotorealistisch-abbildenden zu hyperrealistisch-konstruierenden A/V-Erzählungen. Die Studierenden werden mit der Krise des industriellen Abbildparadigmas vertraut gemacht und angeleitet, die arbiträre Konstruiertheit und virtuelle Offenheit digital manipulierter oder generierter A/V-Produktionen zu erkennen und — gerade im Vergleich zu analogen Audiovisionen — als besonderes Potenzial aller im digitalen Transmedium existierenden Artefakte zu verstehen; als technische wie ästhetische Qualität.

Faction im analogen Film 
(Modul Fact –Fiction – Faction, Seminar / Übung, ifs internationale filmschule köln, Studiengang Film)

Der erste Teil des Moduls verfolgt die Konsequenzen, die sich nach 1800 für das audiovisuelle Dokumentieren wie Erzählen aus dem Übergang von mechanisch-realistischen zu industriell-fotorealistischen Medien ergaben. Die Entwicklung mündete in den (Ton-) Film, das Leitmedium der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Bahnbrechende Werke — etwa Orson Welles Citizen Kane (1942) oder Filme des Neorealismus — experimentierten dabei in Inhalt wie Form mit dem Potenzial des neuen Mediums, dokumentarische Reproduktion mit narrativer Konstruktion auf innovative Weise zu verschmelzen.

 

 

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Faction im digitalen Transmedium 

(Modul Fact –Fiction – Faction, Seminar / Übung, ifs internationale filmschule köln)

Der dritte Teil des Moduls beschäftigt sich mit der aktuellen Umwälzung des medial initiierten Verhältnisses von Fakt und Fiktion: mit der Digitalisierung und der mit ihr einhergehenden Krise des industriellen Abbildparadigmas. Der sukzessive Übergang zur hyperrealistisch-konstruierenden Generierung audiovisueller Szenen kann im Kontext des Problemfeldes fact-fiction-faction nicht (allein) als Verlust – dokumentarischer Verbürgtheit, Authentizität – erfahren werden, sondern versteht sich wesentlich als Chance: Aus der Aufhebung des Zwangs zur fotorealistischen Reproduktion resultiert künstlerisch die Ermächtigung zu souveräner(er) audiovisueller Konstruktion.

 

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Faction im analogen Fernsehen(Modul Fact –Fiction – Faction, Seminar / Übung, ifs internationale filmschule köln)

Der zweite Teil des Moduls untersucht die Mischformen dokumentarischen und fiktionalen Erzählens, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkamen, der Hoch- und Endphase analoger Ton- und Bildproduktion. In ihr lösten elektronisch aufgezeichnete und distribuierte fiktionale wie non-fiktionale Audiovisionen den (Kino-) Film als zivilisatorisches Leitmedium ab.

Den aus dem Aufstieg des Fernsehens zeitgenössisch für die soziale Kommunikation einerseits, die ästhetische Wahrnehmung andererseits resultierenden Wandel suchten seit Mitte der 1960er Jahre avantgardistische Künstler im TV-Medium selbst zu erkunden. In ihrer Gesamtheit verschoben televisionäre A/V-Erzählungen, indem sie Fiktives in je innovativer Form als Dokumentation präsentierten, den medial etablierten Grenzverlauf zwischen Realität und Fiktion.

 

 

 

 

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Auswahlliteratur

Bartsch, Volker. “Konsequenzen der Digitalisierung für Dokumentarfilme.” In: Trau- Schau-Wem. Digitalisierung und dokumentarische Form, hrsg. von Kay Hoffmann, Konstanz, 1997, S. 97-103.

Freyermuth, Gundolf S. “Faktion // Intermedialität um 1970. Wolfgang Menges TV- Experimente zwischen Adaptation und Antizipation.” In: Michael Grisko / Stefan Münker (Hrsg.), Fernsehexperimente, Kadmos: Berlin, 2008. S. 121-147.

Hoffmann, Kay. “Das dokumentarische Bild im Zeitalter der digitalen Manipulierbarkeit.” In: Trau-Schau-Wem. Digitalisierung und dokumentarische Form, hrsg. von Kay Hoffmann, Konstanz, 1997, S. 13-28.

Juhasz, A. und J. Lerner. F is for Phony: Fake Documentary and Truth’s Undoing. Minneapolis, 2006.

Kreimeier, Klaus. “Fingierter Dokumentarfilm und Strategien des Authentischen.” In: Trau-Schau-Wem. Digitalisierung und dokumentarische Form, hrsg. von Kay Hoffmann, Konstanz, 1997, S. 29-46.

Rhodes, G. D. und J. P. Springer. Docufictions : essays on the intersection of documentary and fictional filmmaking. Jefferson, N.C., 2006.

Roscoe, J. und C. Hight. Faking: mock-documentary and the subversion of factuality. Manchester ; New York 2001.

Rother, Rainer. “Von der Schwierigkeit, Ich zu sagen. Über Dokumentarfilme.” In: Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken, Juni 2005, S. 537-542.

Winston, Brian. “Die Digitalisierung und das Dokumentarische.” In: Trau-Schau-Wem. Digitalisierung und dokumentarische Form, hrsg. von Kay Hoffmann, Konstanz, 1997, S. 47-57.

 

Technisch und / oder ästhetisch wichtige Filme:

1927: Berlin, Symphonie einer Großstadt
1929: 
Chelovek s kino-apparatom – The Man with a Movie Camera
1930:
 Menschen am Sonntag
1939: Confessions of a Nazi Spy
1942: Citizen Kane
1945: The House on 92nd Street, Roma: città aperta
1946: Paisà
1948: The Naked City
1965: The War Game
1967: Don’t Look Back
1969: Take the Money and Run, Die Dubrow-Krise, Fragestunde
1970: Millionenspiel
1973: Smog
1974: F For Fake
1978: Deutschland im Herbst
1983: Zelig
1984: This Is Spinal Tap
1989: Roger & Me
1991: Das Ende der Unschuld; JFK
1994: Forrest Gump
1995: Apollo 13
1998: Saving Private Ryan
1999: The Blair Witch Project
2003: A Mighty Wind
2004: Fahrenheit 9/11; Virtual History: The Secret Plot to Kill Hitler

 

–> Modul I: A/V-Digitalisierung
–> Modul II: Analoge Künste
–> Modul III: Digitale Künste
–> Modul IV: Adaptation

–> Modul VI: Menschenbilder